Das OLG Karlsruhe hat auf die Beschwerde eines Journalisten gegen die abweisende Entscheidung des Grundbuchamts Heidelberg hin diesem die Einsicht in das Grundbuch des Grundstücks von Boris Becker in Leimen vollständig gewährt - 11 W 81/17 (Wx), Beschluss vom 26. September 2017.
Aktenzeichen:
11 W 81/17 (Wx)
Abteilung 4 GRG 1346/2017 Leimen GB 1184 AG Mannheim
11. ZIVILSENAT
Beschluss
In der Grundbuchsache betreffend das Grundbuch von Leimen Blatt 1184
Beteiligte:
0888 Berlin
- Antragsteller und Beschwerdeführer -
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Partsch & Partner Rechtsanwälte, Kurfürstendamm 50, 10707 Berlin,
Gz.: M.Z.ASV 176/17
wegen Grundbuchbeschwerde
hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts , die Richterin am Oberlandesgericht Dr. und den Richter am Oberlandesgericht Dr. beschlossen:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Grundbuchamts Heidelberg vom 26. Juli 2017, Az. Abteilung 4 GRG 1346/2017 Leimen GB 1184, aufgehoben und das nunmehr zuständige Amtsgericht Mannheim - Grundbuchamt - angewiesen, dem Antragsteller Einsicht in das Grundbuch von Leimen Blatt 1184 zu gestatten.
I.
Der Antragsteller ist Redakteur bei der „BILD-Zeitung" und recherchiert dort zu den
Vermögensverhältnissen von Herrn Boris Becker. Er begehrt Einsicht in das Grundbuch von Leimen Blatt 1184.
Am 20. Juli 2017 beantragte der Antragsteller Einsicht in das Grundbuch betreffend das Grundstück Im Schilling 21 in Leimen und begründete dies u.a. damit, dass bezüglich dieses Grundstücks der Verdacht eines Immobiliendeals mit der betrügerischen Immobiliengruppe S&K bestehe. Das Grundbuchamt antworte dem Antragsteller am 21. Juli 2017 formlos, dass der benannte Sachverhalt für ein berechtigtes Interesse nicht ausreichend und ein vermuteter Bezug zwischen dem Eigentümer und der Immobiliengruppe S&K konkret zu benennen sei. Daraufhin teilte der Antragsteller unter Bezugnahme auf das Titelblatt der Bild Zeitung vom 19. Juli 2017 „Bild exklusiv - Millionen-Gläubiger packt aus - Boris verpfändete auch das Haus seiner Mutter" mit, dass er die Eigentumsverhältnisse mit den Angaben von Boris Becker und seines Kreditgebers Cleven abgleiche wolle. In dem dazugehörenden Artikel erhebt Herr Hans-Dieter Cleven den Vorwurf, dass Herr Boris Becker ihm zugesagte Sicherheiten anderweitig verwertet habe. Dies gelte auch für die Immobilie in Leimen.
Am 26. Juli 2017 hat das Grundbuchamt Heidelberg den Antrag auf Erteilung einer Grundbuchabschrift und auf Grundbucheinsicht zurückgewiesen, da die Begründung des Interesses für die Akteneinsicht zu allgemein gehalten sei und es ersichtlich allein um die Bedienung der Neugierde der Leser gehe; dieses überwiege indessen nicht das Schutzinteresse des Eigentümers. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, dass die Informationen nicht auf anderem Weg zu erlangen seien (Sonderband Grundbucheinsicht AS. 31).
Mit Schriftsatz vom 31. Juli 2017 hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt und seinen auf § 4 Absatz 1 LPresseG und § 12 GBO gestützten Anspruch mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begründet, die im Hinblick auf die grundrechtlich geschützte Pressefreiheit auch ein schutzwürdiges Interesse der Presse an der Grundbucheinsicht anerkannt habe (Sonderband Grundbucheinsicht AS. 35).
Durch Beschluss vom 24, August 2017 hat das nunmehr zuständige Amtsgericht Mannheim - Grundbuchamt - der Beschwerde unter Bezugnahme auf die Gründe des Beschlusses vom 26. Juli 2017 nicht abgeholfen (Sonderband Grundbucheinsicht AS. 57).
II.
Die nach §§71 ff. GBO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet. Dem Antragsteller ist Grundbucheinsicht nach § 12 Absatz 1 GBO i.V.m. § 46 GBV zu gewähren.
Gemäß § 12 Absatz 1 Satz 1 GBO ist die Einsicht des Grundbuchs jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt.
Der Begriff des berechtigen Interesses ist umfassender als der des rechtlichen Interesses. Es genügt ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse des Antragstellers (Demharter, GBO 30. Aufl. § 12 Rn. 7). § 12 Absatz 1 GBO bezweckt nicht in erster Linie einen Geheimnisschutz, sondern zielt auf eine Publizität, die über die rein rechtliche Anknüpfung an die Vermutungs- und Gutglaubensvorschriften der §§ 891 ff. BGB hinausgeht (KG, Beschluss vom 20. Januar 2004 - 1 W 294/03, juris Rn. 3). Die Verfolgung unbefugter Zwecke oder reiner Neugier muss jedoch ausgeschlossen werden (Demharter, GBO 30. Aufl. § 12 Rn. 7). Über den ursprünglichen, dem allgemeinen Rechtsverkehr mit Grundstücken dienenden Regelungszweck hinaus kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs die Presse ein schutzwürdiges Interesse daran haben, von den für ein bestimmtes Grundstück vorgenommenen Eintragungen Kenntnis zu erlangen (BVerfG, Beschluss vom 28. August 2000 - 1 BvR 1307/91, juris Rn. 19; BGH, Beschluss vom 17. August 2011 - V ZB 47/11, juris Rn. 6; Demharter, GBO 30. Aufl. § 12 Rn. 10).
Das berechtigte Interesse ist darzulegen. Darlegen ist mehr als Behaupten und bedeutet so viel wie erläutern, erklären oder näher auf etwas eingehen (Demharter, GBO 30. Aufl. § 12 Rn. 13). Die Darlegung des berechtigten Interesses erfordert einen nachvollziehbaren Vortrag von Tatsachen in der Weise, dass dem Grundbuchamt daraus die Überzeugung von der Berechtigung des geltend gemachten Interesses verschafft wird (KG, Beschluss vom 20. Januar 2004 - 1 W 294/03, juris Rn. 3). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen allerdings die Anforderungen an das berechtigte Interesse selbst und an dessen Darlegung der Besonderheit einer freien Presse Rechnung tragen (BVerfG, Beschluss vom 28. August 2000 - 1 BvR 1307/91, juris Rn, 29). Zum einen muss die Presse nach publizistischen Kriterien entscheiden dürfen, was sie des öffentlichen Interesses für wert hält und was nicht, so dass eine Bewertung des Informationsanliegens durch staatliche Stellen nicht stattfinden darf (BVerfG, Beschluss vom 28. August 2000 - 1 BvR 1307/91, juris Rn. 29). Zum anderen können nur Konkretisierungen verlangt werden, die für die inhaltlich beschränkte Überprüfung des Informationsinteresses durch das Grundbuchamt bedeutsam sind. Dabei ist zu respektieren, dass die Presse regelmäßig auch auf einen bloßen, und sei es auch nur schwachen, Verdacht hin recherchiert und dass es geradezu Anliegen einer Recherche ist, einem Verdacht nachzugehen (BVerfG, Beschluss vom 28. August 2000 - 1 BvR 1307/91, juris Rn. 30). Ist eine publizistisch geeignete Information zu erwarten, wenn sich die Vermutung als zutreffend erweist, dann ist mit der Darlegung dieser Vermutung auch das Informationsinteresse hinreichend belegt (BVerfG, Beschluss vom 28. August 2000 - 1 BvR 1307/91, juris Rn. 30).
Allerdings genießt die Rechtsposition der Eingetragenen ebenfalls grundrechtlichen Schutz, weil die Gestattung der Grundbucheinsicht durch einen Dritten auf Grund der im Grundbuch enthaltenen personenbezogenen Daten einen Eingriff in das durch Art. 2 Absatz 1 i.V.m. Art. 1 Absatz 1 GG geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt (BGH, Beschluss vom 17. August 2011 - V ZB 47/11, juris Rn. 7). Das Interesse der Presse an der Kenntnisnahme des Grundbuchinhalts erweist sich als gegenüber dem Persönlichkeitsrecht der Eingetragenen vorrangig, wenn es sich um eine Frage handelt, die die Öffentlichkeit wesentlich angeht und wenn die Recherche der Aufbereitung einer ernsthaften und sachbezogenen Auseinandersetzung dient; anders ist dies, wenn die aus den Nachforschungen möglicherweise resultierende Berichterstattung lediglich dazu dient, eine in der Öffentlichkeit vorhandene Neugierde und Sensationslust zu befriedigen (BVerfG, Beschluss vom 28. August 2000 - 1 BvR 1307/91, juris Rn. 32; BGH, Beschluss vom 17. August 2011 - V ZB 47/11, juris Rn. 8). Das Bundesverfassungsgericht nimmt dabei auf die Abwägungskriterien aus der Bildberichterstattung (BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1999 - 1 BvR 653/96 - Caroline von Monaco II, juris) Bezug. Das Kammergericht zieht zur Konkretisierung die presserechtliche Abwägung bei der Wahrnehmung berechtigter Interessen heran (KG, Beschluss vom 19. Juni 2001 - 1 W 132/01, juris Rn. 9). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist schließlich zu prüfen, ob sich die Presse bei der Einsichtnahme auf das zur
Recherche Erforderliche begrenzt und ob sie in unproblematischer Weise andere Mittel nutzen könnte, um die von ihr erwünschten Informationen unter geringerer Beeinträchtigung des Persönlichkeitsschutzes der Eingetragenen zu erhalten (BVerfG, Beschluss vom 28. August 2000 - 1 BvR 1307/91, juris Rn. 31).
Dem Antragsteller ist Grundbucheinsicht zu gewähren.
Schutzwürdige Belange des im Grundbuch Eingetragenen stehen einer Einsichtnahme nicht entgegen. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Eingetragene eine Person des öffentliches Interesses ist, die aufgrund ihres außergewöhnliches Verhaltens oder ihrer besonderen Leistungen aus der Masse der Mitmenschen herausragt (vgl. Wandtke/Bullinger/Fricke, KunstUrhG 4. Aufl. § 23 Rn. 8). Bei der Frage, ob die Recherche der Aufbereitung einer ernsthaften und sachbezogenen Auseinandersetzung dient oder lediglich dazu, vorhandene Neugierde und Sensationslust zu befriedigen (BGH, Beschluss vom 17. August 2011 - V ZB 47/11, juris Rn. 8), geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Kammergericht davon aus, dass allein das Informationsinteresse an der finanziellen Gesamtsituationen eines Prominenten als oberflächliche Unterhaltung zu qualifizieren ist, die zwar aus dem Schutzbereich des Grundrechts der Pressefreiheit nicht auszuklammern ist, aber für die Meinungsbildung in der Öffentlichkeit im Sinne einer ernsthaften, sachbezogenen Erörterung nicht als wesentlich angesehen werden kann (KG, Beschluss vom 19. Juni 2001 - 1 W 132/01, juris Rn. 11; vgl. auch EGMR, Urteil vom 7. Februar 2012 - 40660/08, juris Rn. 109; Wandtke/Bullinger/Fricke, KunstUrhG 4. Aufl. § 23 Rn. 10). Jedoch geht der vom Antragsteller geltend gemachte Einsichtsgrund hierüber hinaus, da der Verdacht eines Geschäftskontakts mit einem Wirtschaftskriminellen, der selbst als Person des öffentlichen Interesses zu betrachten ist, und unlauterer Geschäftspraktiken zu Lasten eines Kreditgebers geäußert wird. Diesbezüglich ist auch in Rechnung zu stellen, dass das Informationsinteresse bei sittlich oder rechtlich zu beanstandenden Verhaltensweisen tendenziell höher zu bewerten ist als die Normalität des Alltagsleben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008 - 1 BvR 1602/07 - Caroline von Monaco III, juris Rn. 60), der die finanzielle Gesamtsituation einer Person zuzuordnen ist.
Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller in unproblematischer Weise andere Mittel nutzen könnte, um die erwünschten Informationen unter geringerer Beeinträchtigung des Persönlichkeitsschutzes der Eingetragenen zu erhalten. Dabei kann dahinstehen,
ob sich hinsichtlich des Verdachts eines Immobiliendeals mit der S&K Gruppe aus der Veröffentlichung von Einzelheiten eines Immobiliengeschäfts im Artikel „Boris wollte diesem Ganoven sein Elternhaus verkaufen“ aus der Bild am Sonntag vom 23. Juli 2017 ergibt, dass es dem Antragsteller möglich gewesen wäre, auch ohne Grundbucheinsicht seine Recherchen zu betreiben. Jedenfalls im Hinblick auf die vom Antragsteller betriebene weitere Recherche bezüglich des Verdachts unlauterer Geschäftspraktiken zu Lasten des Kreditgebers Cleven kann die Erforderlichkeit der Grundbucheinsicht nicht verneint werden.
III.
Eine Kostenentscheidung ist im Hinblick auf § 25 Absatz 1 GNotKG nicht veranlasst.
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 78 GBO liegen nicht vor. Anforderungen und Reichweite des Grundbucheinsichtsrechts der Presse sind höchstrichterlich geklärt. Vorliegend geht es allein um die Abwägung des zu entscheidenden Einzelfalls.